Impfstoffe: Wie Nasenspray-Impfungen schützen
Unter den bisher zugelassenen Impfstoffen gegen das Coronavirus fehlt ausgerechnet jene Gruppe, in der viele Fachleute die besten Chancen zur Eindämmung der Pandemie sehen. Mit einer Nasenspray-Impfung lässt sich theoretisch die begehrte sterile Immunität erreichen, bei der man sich nicht einmal mehr anstecken kann. Sie stoppen das Virus dort, wo es als Erstes in den Körper eindringt und wo klassische Impfstoffe nicht hinkommen. Bisher allerdings hängen die intranasalen Vakzine hinterher, denn was auf dem Papier einfach klingt, erweist sich in der Praxis als sehr kompliziert. Dass man überhaupt nach einer solchen Alternative zu den bereits erfolgreich eingesetzten Impfstoffen suchen muss, liegt daran, dass klassische Impfstoffe keinen nennenswerten Immunschutz in den Schleimhäuten erzeugen. Das ist vermutlich auch der Grund, warum man sich trotz Impfschutz mit Sars-CoV-2 und seinen Varianten wie Delta infizieren kann. Vakzine wie jene von Biontech, Moderna und AstraZeneca verhindern zwar zuverlässig schwere Erkrankungen, aber nicht, dass das Virus in den Körper eindringt.
»Bei systemischen Impfstoffen ist es ja häufig so, dass man nicht mehr krank wird, aber Krankheitserreger aufnehmen und auch über einen gewissen Zeitraum andere anstecken kann«, erklärt Kai Schulze, der am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung die Immunreaktion auf Impfungen erforscht. Bei einer schleimhautbasierten Abwehr dagegen ließ sich diese Lücke schließen, weil sie schon die Aufnahme des Virus blockieren würde. Damit rückt die ersehnte sterile Immunität in Reichweite. Geimpfte würden überhaupt nicht mehr zu den Ansteckungen beitragen und auch keine gegen die Impfung unempfindlichen Varianten mehr ausbrüten.
Wie man die Schleimhaut immun macht
Doch bisher scheitern die meisten Vakzine an der Schleimhaut. Studien an klassischen Impfstoffen zeigen, dass sich bei solchen Impfungen keine IgA-Antikörper bilden, die für eine mukosale Immunität, also eine Immunität in der Schleimhaut sorgen. »Um mukosale Immunität zu erhalten, müsste das Antigen direkt dort in den oberen Atemwegen sein«, sagt Michael Diamond von der Washington University in St. Louis, der selbst an einer Nasenspray-Impfung forscht. »Ich glaube nicht, dass es bei der Injektion in den Muskel dorthin kommt.«
Fachleute plädieren schon seit Jahren dafür, die mukosale Immunität bei Impfungen stärker zu berücksichtigen. Doch bisher führen Nasenspray-Impfstoffe ein Nischendasein. Auch gegen Sars-CoV-2 spielen sie keine Rolle. »Bislang gibt es nur wenige Erfahrungen mit intranasalen Vakzinen«, sagt Diamond. »Wir haben einen Grippeimpfstoff, mehr nicht. Und das ist ein abgeschwächter Lebendimpfstoff.« Das Vakzin FluMist basiert auf Grippeviren, die durch gerichtete Evolution an Kälte angepasst sind und sich deswegen im Menschen nur schlecht vermehren. Einen ähnlichen Impfstoff in einer Pandemie zu entwickeln, ist jedoch wenig erfolgversprechend, weil es sehr lange dauert.
Aus dem echten Sars-CoV-2 ein harmloses Virus zu züchten, braucht Zeit. Zusätzlich muss man bei solchen Lebendimpfstoffen besonders sorgfältig sicherstellen, dass sie im Körper nicht wieder zum gefährlichen Original zurückmutieren. »Es gibt bisher kein Impfvirus auf Basis von Sars-CoV-2, auch wenn es einige gibt, die sich in frühen präklinischen und klinischen Studien befinden«, sagt Diamond. In China zum Beispiel wird derzeit ein solcher Impfstoff an Menschen getestet. Daneben haben Lebendimpfstoffe einen weiteren gravierenden Mangel. Da sie eine echte Infektion verursachen, kann man sie Menschen mit geschwächtem Immunsystem nicht verabreichen. Bei ihnen besteht die Gefahr, dass sie auch durch das milde Virus erkranken.
»Die mukosale Immunität ist komplexer als die systemische«
Kai Schulze, Impfforscher
Die meisten Fachleute sind aber zuversichtlich, dass Impfstoffe ohne vermehrungsfähige Viren ebenfalls eine ausreichende Immunität in der Schleimhaut erzeugen. In diese Kategorie fallen die bisher gegen Sars-CoV-2 zugelassenen Präparate. Das Unternehmen AstraZeneca und die University of Oxford testen derzeit einen Nasenspray-Version des Impfstoffs Vaxzevria. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass die bereits erfolgreich eingesetzten Impfstoffe auch in der Nase funktionieren. »Die mukosale Immunität ist komplexer als die systemische«, sagt Schulze. Weil die Schleimhäute den Vakzinen eine Reihe von Hindernissen in den Weg legen.
Die Schleimhaut wehrt effektiv Eindringlinge ab, auch wenn es Impfstoffe sind
Das wichtigste Merkmal der Schleimhaut ist ihre Schicht aus Zuckermolekülen, Proteinen und anderen Bestandteilen. Sie ist eine effektive physikalische Barriere für Fremdkörper, die in die Nase gelangen. Objekte wie Pollen, Bakterien oder eben Impfstoffe landen auf ihrer Oberfläche, und bis sie durch die zähe Masse zu den Zellen darunter durchgedrungen sind, dauert es eine Weile. Nicht nur das: Flimmerhärchen der Schleimhaut transportieren sie zudem zum Rachen, wo sie verschluckt und vernichtet wird.
In der Schleimschicht herrschen außerdem widrige Bedingungen, die es Eindringlingen besonders schwer machen. Enzyme zum Beispiel zerstören Proteine, und der pH-Wert verändert die Struktur von Biomolekülen. Für Krankheitserreger und andere biologische Materialien ist die mukosale Umgebung extrem unwirtlich. Aber auch für etwaige Impfstoffe: Wie viel davon beim Immunsystem landet, ist daher nur schwer zu kontrollieren.
»Wenn man etwas injiziert, kann man davon ausgehen, dass 100 Prozent in den Körper gelangen«, erklärt Kai Schulze vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. »Wenn man hingegen etwas über die Schleimhaut gibt, dann variiert das.« Bei einem Nasenspray müsse man mit einer hinreichend hohen Dosis arbeiten, damit genug Material bei den Immunzellen lande, sagt Schulze.
Das Immunsystem ausreichend provozieren
Doch selbst wenn das sichergestellt ist, taucht ein weiteres Hindernis auf. Das Immunsystem der Schleimhäute ist im ständigen Kontakt mit der Außenwelt und darauf ausgelegt, die allermeisten Antigene zu tolerieren. Es darf nur dann reagieren, wenn eine wirkliche Gefahr droht. Es hat deswegen im Lauf der Evolution gelernt, bestimmte Muster als fremd und potenziell gefährlich zu erkennen. Dafür besitzen Immunzellen spezielle Rezeptoren, die für verschiedene Klassen von Krankheitserregern typische Signale erkennen, die so genannten pathogenassoziierten molekularen Muster (PAMP). Erst wenn mehrere dieser Signale zusammenkommen, leitet die Schleimhaut tatsächlich eine Abwehrreaktion ein.
Ein Impfstoff muss die Tendenz der mukosalen Immunität überwinden, harmlose Erreger zu tolerieren, und viele moderne Vakzine sehen zu harmlos aus, wenn sie als einzelne Dosis verabreicht werden. »Wenn ich nun abgetötete Erreger über die Schleimhaut gebe, dann habe ich schon viele Signale, die das Immunsystem braucht«, sagt Schulze. Anders sehe das bei proteinbasierten Impfstoffen aus oder bei Nanoteilchen, die zum Beispiel auch die mRNA-Impfstoffe vor dem Abbau schützen. »Dann muss man häufig als zusätzliches Signal ein Adjuvans geben.«
Ein Adjuvans, ein Wirkverstärker, bringt aber eine weitere Schwierigkeit bei der Herstellung von Nasenspray-Impfungen mit sich. Denn viele von den bei klassischen Impfungen erprobten Impfverstärkern wirken auf der Schleimhaut deutlich schlechter, zum Beispiel die oft verwendeten Aluminiumsalze. Deswegen entwickeln einige Arbeitsgruppen speziell auf die Schleimhautbedingungen zugeschnittene Adjuvanzien, darunter auch das Team von Schulze.
Viele der bekannten Adjuvanzien scheinen auch auf die für Krankheitserreger spezifischen PAMP-Rezeptoren anzusprechen. Auf diese Weise aktivieren sie entzündungsfördernde Komponenten der angeborenen Immunabwehr, vor allem das Alarmsystem auf Basis der Interferone und anderer Zytokine. Beide Botenstoffe beordern die Immunzellen an den Ort der Entzündung. Andere beschädigen Zellen, so dass sie ihrerseits Alarmstoffe oder Alarm auslösende Stoffe wie DNA und RNA freisetzen.
Die Schleimhaut hat noch eine zweite Barriere
Dass effektive Adjuvanzien für Schleimhäute fehlen, ist ein wichtiger Grund dafür, dass intranasale Impfstoffe bisher wenig erfolgreich waren. Teil des Problem ist, dass bis heute nur wenig darüber bekannt ist, wie solche Hilfsstoffe unter Schleimhautbedingungen funktionieren. Das heißt, Forscher wissen nicht wirklich, wonach sie suchen müssen und welches Adjuvans für welchen Impfstoff passt.
»Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Adenovirus-Vektor auch in den Körper eindringt, wenn man hohe Dosen davon verabreicht«
Michael Diamond, Impfforscher
Nicht zuletzt folgt nach der Schleimschicht eine weitere schwer zu durchdringende Barriere. Die Schleimhautzellen sind untereinander durch besondere Verbindungen verknüpft, die eine dichte Barriere bilden, ganz ähnlich der Blut-Hirn-Schranke. Ein Impfstoff, der es durch den Schleim geschafft hat, muss diese Hürde überwinden – sowohl das Antigen als auch das Adjuvans. Dieses Problem ließe sich aber vielleicht beheben: mit Hilfe hoher Impfstoffdosen.
Tatsächlich trägt das sogar zu einem weiteren nicht zu unterschätzenden Vorteil der Nasenspray-Impfstoffe bei: Eine Schleimhaut-Immunisierung erzeugt eine Immunreaktion im Blut. Das jedenfalls stellte Diamond fest, als er mit seinem Team den Nasenspray-Impfstoff an Affen testete. »Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Adenovirus-Vektor auch in den Körper eindringt, wenn man hohe Dosen davon verabreicht«, erklärt er. Der genaue Mechanismus sei aber noch nicht geklärt. »Alternativ könnte die Immunreaktion lokal starten und Immunzellen aktivieren, die in Lymphknoten und Milz wandern.« Es könne aber auch eine Kombination aus beidem sein.
Nebenan liegt das Gehirn
Leider kann man Nasenspray-Impfstoffe nicht bedenkenlos in hohen Dosen verabreichen. Denn sie könnten auch dorthin gelangen, wo sie nicht sollen, zum Beispiel ins Gehirn. Der Riechkolben, ein Teil des Riechhirns, liegt unweit der Nase. Von ihm aus führen Nervenverbindungen durch den an dieser Stelle durchlöcherten Schädelknochen zur Riechschleimhaut. Diesen Weg könnte auch ein Impfstoff nehmen. »Bei abgeschwächten Lebendimpfstoffen muss man die Möglichkeit sehr genau prüfen, dass das Virus in den Riechkolben gelangen könnte«, sagt Diamond.
Das ist aus seiner Sicht allerdings vor allem für eine Klasse von Impfstoffen ein Problem, die auf vermehrungsfähigen abgeschwächten Viren beruhen. Bei anderen Impfstofftypen dagegen, wie proteinbasierten Impfstoffen, inaktivierten Viren oder den nicht vermehrungsfähigen Adenovirus-Vektoren, sei das weniger kritisch. »Sie gelangen dort vielleicht mit der ersten Dosis hin, aber sie verbreiten sich nicht weiter und richten deshalb keinen Schaden an.«
Der Impfstoff selbst allerdings ist nur eine Komponente des Nasensprays. Auch die Wirkverstärker haben das Potenzial, Schaden anzurichten. »Das war das Problem beim hitzelabilen Toxin des Bakteriums Escherichia coli«, erklärt Schulze. Dieses Molekül eignet sich als Wirkverstärker, weil er sehr effektiv die Rezeptoren für Gefahrensignale aktiviert und so zu einer guten Immunantwort beiträgt. Unglücklicherweise bindet es aber an bestimmte Sequenzen im olfaktorischen Nerv.
Das führte bei früheren Versuchen mit Nasenspray-Impfungen zu unschönen Nebenwirkungen, berichtet Schulze. »Damals sind ein paar Fälle aufgetreten, bei denen Menschen temporäre Lähmungen hatten. Das ist wieder weggegangen, aber wenn so etwas erstmal publik ist, ist es natürlich sehr schwer, die Menschen davon zu überzeugen, dass neue Impfstoffe dennoch sicher sind.« Um solche Vorkommnisse bei künftigen Vakzinen zu vermeiden, stellen die Gesundheitsbehörden hohe Auflagen an neu entwickelte Impfstoffe. Umfangreiche toxikologische Studien sind daher nötig. »Dennoch ist das sicher ein Grund, warum die Akzeptanz da nicht so groß ist.«
»So ein Impfstoff könnte nächstes Jahr zugelassen werden«
Kai Schulze, Impfforscher
Kommen die Nasenspray-Impfungen zu spät?
Derzeit sind lediglich acht der rund 100 Covid-19-Impfstoffe in klinischen Studien intranasale Vakzine, und keines der Präparate ist bisher in einer Phase-III-Studie, in der die Daten für die Zulassung gewonnen werden. Wann also der erste Nasenspray-Impfstoff gegen Covid-19 tatsächlich auf den Markt kommt, ist nicht absehbar. Dennoch ist Schulze optimistisch: »Wenn man sieht, wie das mit den Notfallzulassungen für aktuelle Impfstoffe läuft, dann kann ich mir vorstellen, dass auch so ein Impfstoff nächstes Jahr zugelassen werden könnte.«
Noch schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob sie in der Corona-Pandemie noch einen Unterschied machen würden oder vielleicht sogar zu spät kommen. Allerdings hätten sie einen entscheidenden Vorteil: Sie verhindern die Übertragung des Virus und stoppen damit dessen Ausbreitung. Außerdem sind sie leichter zu verabreichen, besonders für Kinder wären Impfungen ohne einen Piks angenehmer.
Einige Unternehmen wie der Hersteller Altimmune versuchen derzeit, ihre intranasalen Impfstoffe für die neuen Virusvarianten umzurüsten. Nicht zuletzt seien in vielen Nichtindustrieländern ohnehin noch unzählige Menschen ungeimpft, sagt Diamond. »Es ist immer noch möglich, dass diese Impfstoffe die Pandemie langfristig beeinflussen, insbesondere weil die mukosale Immunität die Übertragung verhindern kann.«
Schulze denkt derweil schon weiter. Die mukosale Immunität ließe sich nämlich nicht nur über Nasensprays anregen, sondern auch weiter weg von der kritischen Verbindung zum Gehirn. »Wir forschen an der Alternative, einen Impfstoff nicht über die Nasenschleimhaut zu geben, sondern über den Mund, unter der Zunge.« Das erzeuge ebenfalls Immunität in den Atemwegen.
Doch wirksame Nasenspray-Impfstoffe hätten einen viel versprechenden Nebeneffekt: Eine Impfung in den oberen Atemwegen würde auch in der Lunge und sogar im Urogenitaltrakt schützen, erklärt der Forscher. Deswegen seien sogar Nasenspray-Impfstoffe gegen Geschlechtskrankheiten vorstellbar. Dazu allerdings müssen diese intranasalen Vakzine erst einmal zeigen, dass sie die hohen Erwartungen erfüllen können. Womöglich schon, analog zu den mRNA-Impfungen, gegen Sars-CoV-2. »Ich hoffe, dass es ein positiver Nebeneffekt der Pandemie sein wird, auch diesen Impfstoffen noch einmal einen Schub zu geben«, sagt Kai Schulze.
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